Kritik am Naturalismus

Schwerpunkt der Kritik am Naturalismus war dessen Art und Weise, negative gesellschaftliche Entwicklungen aufzuzeigen, ohne eine Perspektive zu bieten oder Auswege aufzuzeigen.

Des Weiteren sprach Theodor Fontane mit der Aussage „Es ist die Muße in Sack und Asche, Apollo hat Zahnweh.“ vielen Kritikern aus dem Herzen, die der Meinung waren, Kunst könne nicht nur daraus bestehen, die düsteren Seiten der Realität aufzuzeigen.

Dabei schwankte die Tendenz der Kritiker zwischen dem Wunsch, die Welt so darzustellen, wie sie tatsächlich ist (Realismus), das Geschehen so widerzugeben, wie es sich dem einzelnen Künstler darbot (Impressionismus) oder nur Ästhetisches als wahre Kunst gelten zu lassen (Ästhetizismus). Stefan George beispielsweise vertrat als bedeutender Ästhetizist die Ansicht, Kunst solle und dürfe nur um ihrer selbst Willen sein (l’art pour l’art). George meinte, die Kunst gewönne ihre Existenzberechtigung nicht daraus, zu kritisieren, sondern allein daraus schön und ansprechend zu sein.

Das Drama im Naturalismus: Familie Selicke

„Familie Selicke“ gilt als das erste naturalistische Drama überhaupt. Verfasst von Arno Holz und Johannes Schlaf beinhaltet es alle Merkmale naturalistischer Literatur, die der Theoretiker Arno Holz (Kunst=Natur-x) als kennzeichnend für diese literarische Epoche ansah.

Es verdeutlicht auf vollkommene Art die Absicht des Naturalismus: die Erschaffung eines neuen Dramas mit dem Ziel, die Wirklichkeit, den Alltag des Proletariates und des Kleinbürgers darzustellen. Die „Helden“ des naturalistischen Dramas stammen also aus der Unterschicht und werden als sogenannte passive Helden bezeichnet.

Neu am naturalistischen Drama im Allgemeinen sind Sprache und Inhalte. Die Themen sind neben sozialen Auseinandersetzungen vor allem Leid, Krankheit, Elend und der geringe Handlungsspielraum der Menschen.

Als formale Merkmale sind vor allem:

  • das stumme Spiel (wird durch lange Regieanweisungen vermittelt)
  • die Analyse der im Vordergrund stehenden Charaktere
  • die Nebensächlichkeit der Handlung
  • die Umgangssprache
  • und der Sekundenstil

zu nennen.

Die ausführlichen Regieanweisungen im Drama „Familie Selicke“ erläutern das stumme Spiel, liefern Hintergrundinformationen und vermitteln dem Leser den Eindruck, wie es in der Familie wirklich zugeht.

Dabei werden die massiven Probleme der Familie beispielhaft für die Gesellschaftsschicht deutlich:

• Alkoholmissbrauch durch den Vater
• Angst der Mutter und der 4 Kinder (im Alter zwischen 8 und 22 Jahren) vor Gewalt
• Angst vor dem Ungewissen (Wann kommt der Vater? Wie wird er sich verhalten?)
• Schlechte finanzielle Bedingungen
• Jüngste Tochter ist schwer krank
• Zukunftsängste
• Verzweiflung und Todessehnsucht

Sekundenstil

Der Sekundstil ist eine der Darstellungsmethoden, in der Literatur des Naturalismus.

Sekundenstil bedeutet, dass die erzählte Zeit und die Erzählzeit (d.h. die Zeit, die es braucht um das Geschehen zu erzählen) gleich sind. Die Vorgänge werden in ihrem Ablauf also sekundenweise dargestellt. Auch was die Sinne wahrnehmen wird aufgezeichnet. So soll die gesamte Wirklichkeit sekundengetreu abgebildet werden.

Eines der herausragenden Beispiele für die Verwendung des Sekundenstils ist das naturalistische Drama „Papa Hamlet“ von Arno Holz und Johannes Schlaf. Auch im Drama „Familie Selicke„, das als das erste naturalistische Drama gilt, in dem alle Merkmale naturalistischer Literatur deutlich sind, kommt dem Sekundenstil eine wichtige Bedeutung zu.

Milieutheorie

Begründet vom französischen Philosophen Hippolyte Taine (1828-1898) gilt die Milieutheorie als eine der theoretischen Grundlagen des Naturalismus.

Vor dem historischen Hintergrund des Städtewachstums und der damit verbundenen Zunahme sozialer Probleme erkennt sie den Menschen als eingeschränktes Wesen und negiert den freien Willen.

Der Milieutheorie zufolge wird der Mensch von seinem Umfeld, dem „Milieu“ in das er geboren wird und in dem er aufwächst, bestimmt. Dieser Bestimmung kann er sich nicht entziehen. Die Taten eines Menschen werden demnach immer die logische Folge seiner Umgebung sein, er kann seiner Entwicklung nicht aus eigenem Antrieb eine andere Richtung geben.

Diese Theorie ist mit bestimmend für die Themenwahl des Naturalismus bei der Alkoholismus und andere Suchtkrankheiten eine wichtige Rolle einnehmen. Wächst zum Beispiel ein Kind in einer von Alkoholismus geprägten Umgebung auf, so wird es sich, folgt man Taines Einschätzung – bestimmt durch sein Umfeld – als Erwachsener selbst diesem Problem gegenüber sehen.

Naturalismus

Der Begriff Naturalismus bezeichnet eine gesamteuropäische Strömung des ausgehenden 19. Jahrhunderts (ca. 1880-1900), die sowohl in der bildenden Kunst, der Philosophie, dem Theater und der Ethik als auch in der Literatur zu finden ist. Diese Strömung entstand vor dem Hintergrund der Industrialisierung und des wissenschaftlichen Fortschrittes.

Die Theorie des Naturalismus beruht auf dem Positivismus, dem Determinismus und der Milieutheorie. Demnach ist der Mensch sowohl durch seine Gene als auch durch sein Umfeld bestimmt und eingeschränkt. Ziel des Naturalismus ist es, die Welt auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse so naturgetreu wie nur möglich zu beschreiben. Auf Verschönerungen, Ausschmückungen soll verzichtet werden. Ebenso soll in der Literatur der Dichter auf subjektive Einschätzungen und Meinungen verzichten. „Naturalismus“ weiterlesen

Positivismus

Der Positivismus ist eine philosophische Strömung, deren Begründer der französische Mathematiker, Philosoph und Religionskritiker Auguste Comte (1798-1857) ist. Er besagt, dass es sich nur bei den  Naturwissenschaften um echte Wissenschaften handelt, da sich diese mit dem Erfahrbaren und dem Beweisbaren, das heißt dem „Positiven“ beschäftigen.

Der Positivismus gilt, neben der Milieutheorie und dem Darwinismus, als eine der Grundlagen des Naturalismus.