Gastbeitrag: Mein Lieblingsbuch

Von Hans-Georg Fischer, Fischers Bücherstube Freyburg (Unstrut)

Wohl jeder Mensch bzw. Leser hat sein Lieblingsbuch. Warum soll es da bei Buchhändlern anders sein? Merkwürdig, aber es ist so: In jedem Jahr lese ich dieses Buch einmal. In meiner Lehrzeit habe ich angefangen, mich mit russischen Autoren zu beschäftigen. Puschkin, Tolstoi oder Dostojewski. Da bin ich auch zu Michail Bulgakow gekommen. „Der Meister und Margarita“. Seitdem habe ich dieses Buch mehrmals gelesen und immer wieder neu entdeckt. Man kann und sollte das Buch immer aus anderer Perspektive oder als anderes literarisches Genre lesen.

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Roberto Saviano – Das Gegenteil von Tod

Bekannt geworden, weil er einen tiefen Blick hinter die Kulissen der Camorra (2007, Gomorrha) tat, zeigt Roberto Saviano in seinen Zeitschriftenaufsätzen eine andere Seite dieser Welt zwischen Machtgewinn und Verlust auf.

Das Gegenteil von Tod (2007, I Documenti del Corriere della Sera)
Von weiß zu schwarz, von Liebe zu Trauer. Beinahe liebevoll spielt Saviano mit den Worten. Beinahe ebenso liebevoll wie Maria, die 17-jährige Braut des Gaetano, an den zurück denkt, der fast ihr Mann geworden wäre.
Wie viele junge Männer aus dem Süden Italiens zog der gerade 24-jährige in den Krieg nach Afghanistan, um für ihr gemeinsames Leben das Startkapital zu verdienen. Militär oder Mafia war seine Wahl. Er entschied sich für die Legalität und kehrte nicht zurück. Was bleibt ist Trauer, Unverständnis und immer wieder die Frage der anderen: Wie war das, als Du erfahren hast, dass er nicht zurück kommt? Mit ihren Erinnerungen versucht Maria die Verbindung aufrecht zu erhalten. Savianos Hommage an jene, die sich nicht gegen das Gesetz wenden und doch keine Chance erhalten, ist schonungslos berührend. Denn das Gegenteil von Tod … ist Liebe. Ist der Lebensfunke, der nicht verlöscht. Ist die Hoffnungslosigkeit, das Warten auf das Danach.

Der Ring (2007, L’espresso)
So wie der Ring symbolisch steht für den Kreis, der Schutz bietet und zugleich auch Zwang ist, weil man aus diesem Ring nicht ausbrechen kann, so ist auch das Leben der jungen Männer im Süden. Feste Bahnen zeigen, was zu tun ist, verdienen kann nur, wer sich auf die Seite derer stellt, die die Macht haben. Rom gilt als ferne Verheißung, die Feindschaft der Clans ist so alltäglich wie das Brot. Zwei junge Männer werden stellvertretend bestraft, weil der, dem die Strafe zu Teil werden sollte, nicht zur Stelle war. Die, vor deren Augen das geschieht, haben nur eine Sorge: So wenig wie möglich zu wissen. Was bleibt ist auch hier die Trauer, die Trauer der Mutter, die Trauer und ein Ring, aus dem auszubrechen nicht möglich ist, auch wenn man gar nicht dazu gehört.

Daniel Quinn: Ismael

„Gibt es ohne den Menschen Hoffnung für den Gorilla?“

Gefangenschaft ist das zentrale Thema der ungewöhnlichen Lehrstunden, die ein desillusioniertes Schriftsteller zu nehmen beginnt. Ungewöhnlich nicht nur das Thema, sondern zunächst einmal der Lehrer. Denn als der Schriftsteller zum in der Anzeige in einer Tageszeitung genannten Treffpunkt kommt erwartet ihn in einer Altbauwohnung ein ausgewachsener Gorilla.

Die Sicht auf die menschliche Zivilisation, die Ismael, dem Schriftsteller bieten kann, geht weit über das hinaus, was ein Mitglied dieser Zivilisation über den Umgang der Menschen mit der Welt, zu denken gewöhnt ist.

In zahlreichen Stunden entwickeln die beiden im telepathischen Gedankenaustausch eine Vision von der Welt, wie sie sein könnte, wenn der Mensch nicht meinen würde, die Welt sei erschaffen worden, ihm untertan zu sein. Unglaublich, aber mehr als einleuchtend, zeigt der Gorilla als Außenstehender dem Menschen auf wie die kulturelle Entwicklung sich selbst zu rechtfertigen versucht. Er nennt die kulturelle Prägung „Mutter Kultur“ und verdeutlicht zudem wie schwer es ist, sich von ihrem Einfluss zu lösen.

Durch die Augen Ismael gelingt es Daniel Quinn Widersprüche im Leben der Nehmer, derer, die sich gern als „zivilisierte“ Menschen bezeichnen, aufzudecken. Den Nehmern gegenübergestellt ist die Lebensweise der Lasser, jener Menschen, die von uns gern als unzivilisiert betrachtet werden, deren Art zu existieren, jedoch im Einklang mit der Evolution steht.

Philosophisch, aufschlussreich und unbedingt lesenswert, für alle Zweifler und die, die es werden wollen. Und zu recht trägt die englische Originalausgabe den Untertitel: „An Adventure of the Mind and Spirit“. Denn die zentrale Frage bleibt nicht: „Gibt es ohne den Menschen Hoffnung für den Gorilla?“ sie lautet viel mehr: „Gibt es ohne den Gorilla Hoffnung für den Menschen?“

Advents-Lektüre

Geschneit hat es im Val di Non und bald fangen in Südtirol und im Trentino die ersten Weihnachtsmärkte an. Da ist endlich wieder Zeit für ein wärmendes Kaminfeuer, einen Teller Plätzchen und… ein gutes Buch.

Passend zur besinnlichen Stimmung ist mir nach Jahren mal wieder Marc Levy’s „Solange du da bist“ in die Hände gefallen. Traurig und hoffnungsfroh zugleich schafft Levy es mit diesem Roman, dass man den grauen Himmel komplett ignoriert. Warum? Weil man überhaupt keine Zeit hat, hinaus zu schauen. Also ich zumindest mal nicht.

Arthur, dem jungen Architekt, der an einem Winterabend eine junge Frau in seinem Badezimmerschrank findet, geht es übrigens genauso. Auch wenn alle Welt beginnt ihn für durchgedreht zu halten, er hat keine Zeit mehr, auf etwas anderes zu schauen, als auf Lauren. Er spricht – offensichtlich mit sich selbst- öffnet Beifahrertüren – ohne dass jemand einsteigt- und vernachlässigt seinen Job, um am Krankenbett einer Frau zu sitzen, die er gar nicht kennt.

Was heißt, er kennt sie schon, nur eben nicht wie alle anderen, denn Lauren liegt im Koma. Die Frau, mit der er spricht, obwohl sie keiner sieht, ist ihre Seele, die sich weigert, zu sterben. Gemeinsam versuchen sie, Körper und Seele wieder zusammen zu führen. Peinlich-komische Momente gibt es dabei jede Menge, mehr noch ist es aber die berührend-intensive Nähe zwischen beiden, die einen fesselt. Und während sein eigenes Leben völlig aus der Bahn läuft, leben Lauren und er ein ganz neues Leben. Bis eines Tages entschieden wird, dass die Maschinen abgeschaltet werden sollen. Mit der Entführung ihres leblosen Körpers bringt sich Arthur in Teufels Küche.

Aber wofür?

P.S.: Marc Levy zum Weiterlesen „Am Ersten Tag“

„Josefine und ich“

Wenn Hans Magnus Enzensberger von der seltsamen, beinahe an Abhängigkeit grenzenden Wechselbeziehung zwischen dem jungen Ich-Erzähler Joachim und der huldvoll-rüstigen, alten Dame Josefine schreibt, dann fragt man sich beizeiten: Worauf läuft das hinaus? Was steht hinter diesem Wirrwarr aus merkwürdig-provozierenden Ansichten der 75-jährigen und dem Versuch des Fußball begeisterten Wissenschaftlers in ihre Gedankenwelt vorzudringen?

Die Tagebucheinträge des jungen Protagonisten jedenfalls fördern eine Vielfalt widersprüchlicher Ein- und Ansichten zu Tage, drehen sich um hohe Politik und schlechte Eigenschaften ebenso wie um zerüttete Beziehungen und das längst vergessene Künstlerleben der Josefine. Was davon ist wahr, was Fiktion? Was Erinnerung, was pure Provokation? Genau sagen kann man dies bis zum Schluss nicht. Doch durchlebt man die Diskussionen aktiv mit, wird auf neue – teils ungewohnte – Sichtweisen aufmerksam gemacht und verspürt schließlich eine eigenartige Mischung aus Erleichterung und Trauer als die alte Dame stirbt.

Ähnlich wie Joachim – der Jahre später das Tagebuch zweifelnd in die Hand nimmt, ohne zu wissen, wie es dazu kommen konnte, dass er sich einst in sehr fern erscheinenden Zeiten, dieser alten Dame so verschreiben konnte – weiß man zum Schluss nicht, wie es möglich war, das einen die Geschichte gefangen nehmen konnte.

Hermann Hesse “Über das Glück”

„Glück ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann, ist glücklich.“

Das zumindest vekündet der Umschlagtext.

Das diese Liebe, dieses Glück für den Autor, für den Menschen Hesse viel tiefer geht, zeigt diese Sammlung an Tagebuchauszügen, Gedichten und Gedanken.

Auf der Spur eines ganz eigenen, nachahmenswerten Verständnisses vom Glück ist dieses Buch ein wahres Kleinod für jeden, der sich wie Hesse selbst auf die Suche begibt. Auf die Suche nach Momenten des vollkommen Glücks im eigenen Leben. Momenten, die so flüchtig und zugleich so bleibend sind, dass man noch Jahre später davon zehren kann. So wie Hesse es tat. Stimmungen, persönliche Eindrücke und weltumfassende Einsichten vermag kaum ein anderer so anschaulich, so einfühlsam und berührend in Worte zu fassen, wie er, der sein Leben lang dem Glück nachspürte, es zu fassen, zu beschreiben, nachzuempfinden suchte.

In der Erinnerung an die Tage der frühesten Kindheit finden sich diese Momente des Glücks am reinsten und vollkommensten, sagt Hesse. Doch auch in späteren Jahren kann man das Glück erhaschen. Im Lächeln eines Kindes, im Ziehen der Wolken über einen sommerlich blauen Himmel, in der Freude einer schlichten Bootsfahrt. Begeben wir uns also beim Lesen dieser Betrachtungen auf unsere ganz persönliche Suche nach Momenten in unserem Leben, die es in der Erinnerung zu bewahren lohnt. Und wenn wir dann in der Morgensonne im Süden Südtirols, unter einem Apfelbaum sitzend vom Lesen aufschauen und sich ein Sonnenstrahl im Flügelschlag eines Schmetterlinges bricht, dann wissen wir genau, was Hesse bewegte.

Empfehlung: Unbedingt lesenswert

Simon Beckett “Voyeur”

Diffizil, feinsinnig und beinahe plastisch in seinen Beschreibungen, beinahe so wie man ihn aus seinen späteren Werken kennt, lässt Simon Beckett in seinem Erstlingswerk einen tiefen Blick zu in die Abgründe des Menschseins. Einen Blick auf das, was der Mensch zu tun im Stande ist, wenn Besessenheit sein Motor ist. Eine besondere Intensität der Beschreibung entsteht durch die Perspektive des Ich-Erzählens. Hautnah erlebt der Leser die Gedanken, Gefühle und Eindrücke der Hauptfigur Donald Ramsey mit.

Leidenschaft, ja Obsession ist es, die den Londoner Kunsthändler antreibt. Doch nicht im wahren Leben sondern nur in seiner Phantasie lebt er sie aus. Seine ganz private Sammlung erotischer Kunstwerke ist das einzige Ziel seiner Leidenschaft. Bis er eines Tages Anna als Assistentin für seine Galerie einstellt. Vollkommen zufällig beobachtet er sie eines Abends als sie sich umzieht.

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