Joachim Ringelnatz (1883-1934) – Die Ameisen

Das Gedicht „Die Ameisen“ von Joachim Ringelnatz erscheint in zwei Varianten. Die erste Variante besteht aus nur einer Strophe mit sechs paarweise gereimten Versen ohne Zeilensprünge:

In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Denn auf den letzten Teil der Reise.

In der vollständigen Varianten folgt auf die erste noch eine zweite, lediglich aus 2 Versen bestehende Strophe, die ebenfalls im Paarreim gehalten ist:

So will man oft und kann doch nicht
Und leistet dann recht gern Verzicht.

Durch die Verwendung des Zeilenstils und des durchgängigen Paarreimes entsteht ein fließender Rhythmus. Die Voranstellung der Partikel „da“ (Vers 4) und „denn“ (Vers 6) gibt dem Gedicht zudem einen Anschein von Alltäglichkeit.

Bei den Protagonisten des Gedichtes handelt es sich um zwei Ameisen, die, ausgehend von ihrer Heimatstadt Hamburg, eine Reise nach Australien unternehmen wollen. Dieses Vorhaben brechen sie aber bereits nach einer kurzen Wegstrecke ab, da ihnen die Füße schmerzen. Da es sich bei den Haupthandlungsträgern um Tiere handelt, ist die Wirkung des Gedichtes der einer Fabel sehr ähnlich.

Die Ameise steht symbolisch für Fleiß und Strebsamkeit. Damit erklärt sich auch das hohe Ziel, dass sich die beiden kleinen Tiere gesteckt haben. Sie wollen aus dem Alltag ausbrechen und eine lange Reise unternehmen. Nachdem sie festgestellt haben, dass sie sich mit ihrem Wunsch übernommen haben und ihr Ziel nicht erreichen können, entscheiden sie „weise“, auf die Umsetzung des Planes zu verzichten.

Auf einer zweiten Ebene lässt sich durch die Personifizierung der Ameisen ein Bezug zum Menschen herstellen. Denn auch der Mensch nimmt sich oft Großes vor und muss dann erkennen, dass er sich seine Ziele zu hoch gesteckt hat. Die Entscheidung, dann umzukehren und nicht stur auf dem einmal gesetzten Ziel zu beharren, das Eingeständnis bestimmte Dinge nun einmal nicht erreichen zu können, kann dann von Fall zu Fall auch als weise betrachtet werden.

Dass das Gedicht moralisch-menschliche Fragen aufwirft, verdeutlicht vor allem die vollständige Fassung desselben, denn in den letzten beiden Versen verzichtet Ringelnatz auf die Nennung der Ameisen. Er setzt an deren Stelle das unpersönliche Pronomen „man“. Dies unterstreicht den Bezug zum Menschen und umfasst zugleich die Allgemeinheit, ohne jemanden auszuklammern. Die leicht ironische Nuance, die dem Gedicht anhaftet, bezieht sich damit also ebenfalls nicht nur auf die kleinen Ameisen mit dem zu großen Ziel, sondern auch auf die Neigung des Menschen, von Zeit zu Zeit unrealistische Ziele verwirklichen zu wollen.

(Quelle Gedicht: Ringelnatz: Die Schnupftabakdose. Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk, S. 150 (vgl. Ringelnatz-GW Bd. 1, S. 66))

Biographische Daten

Geboren am 07. August 1883 als Hans Bötticher in Wurzen, fuhr Ringelnatz ab 1901 zur See. Nach der Entlassung als Bootsmaat begann er eine Kaufmannslehre in Hamburg. In dieser Zeit begann er zu schreiben. Seine Reiseerfahrungen und das sein Fernweh tauchen häufig als Motive in seinen Dichtungen auf. Zeit seines Lebens reiste er viel, bildete sich weiter und verdiente unter anderem als Privatbibliothekar sein Geld. 37-jährig heiratete er die 15 Jahre jüngere Leonharda Pieper. Seit 1919 trat er öffentlich als Joachim Ringelnatz auf. Zwischen 1920 und 1934 veröffentlichte er 20 Bücher. Er schrieb neben Gedichten, Autobiographien, Romanen und Bühnenstücken auch Kinderbücher. Darüber hinaus betätigte er sich als Maler und Schauspieler. Am 17. November 1934 stirbt der von den Nationalsozialisten verfolgte Künstler in Berlin an Tuberkulose.

2 Gedanken zu „Joachim Ringelnatz (1883-1934) – Die Ameisen“

  1. Die vom Texter/der Texterin abgelieferte Erklärung ist überflüssig, weil – bis auf Altona – alles selbsterklärend ist.
    Wozu die elend lange Übertragung der Krabbeltiere auf eine überhöhte menschliche Ebene.
    Das hat Ringelnatz mit zwei kurzen Zeilen geschafft.

  2. Schade, Herr Schmidt, dass es Ihnen nicht gelingt, die Arbeit des/der Schreibenden zu würdigen.
    In der Annäherung an das Gedicht könnten die Anregungen auch als Inspiration wirken.

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